Ein Interview in der Zürichsee-Zeitung
Sie sind Ordensmann, Dozent und Buchautor. Wie haben Sie zu diesen
Berufen gefunden?
Niklaus Kuster: Geboren 1962 und auf den Namen Wilfried getauft, bin
ich in Eschenbach aufgewachsen und dort zur Schule gegangen. Das
Gymnasium durchlief ich bei den Kapuzinern in Appenzell. Mit dem
Berufsziel Mittelschullehrer habe ich Geschichte und Latein studiert. In
Freiburg sah ich mich mit den sozialen Problemen der heutigen Zeit
konfrontiert: Armut, Drogenszene, Prostitution. So habe ich gesehen, in
welcher Sinnkrise viele Menschen stehen. Es erwachte in mir der
Wunsch, mich im sozialen Bereich zu engagieren, und das mit dem
Ordensleben zu verbinden. So sah ich mich bei den Ordensgründern
um, und Franziskus erschien mir als der liebenswürdigste unter ihnen.
Wie gelang Ihnen der Eintritt ins Ordensleben?
Nach zwei Jahren Geschichtsstudium meldete ich mich bei den
Kapuzinern und durchlief das Noviziat als Einführung ins Ordensleben.
In diese Zeit fielen soziale Praktika bei der Betreuung von Behinderten
und Betagten, und in mir wuchs der Wunsch, als Sozialarbeiter tätig zu
sein. Doch die Oberen liessen mich vorerst Theologie studieren.
Sie sind aber nicht Priester geworden.
Ich habe gerne Theologie studiert, aber nie den Wunsch zum
Priestertum gespürt. Franziskus war nicht Priester und liess die dem
Orden beigetretenen Priester auf alle ihre Vorrechte verzichten. Für mich
ist das Priesterbild zu stark auf den Kult ausgerichtet; mir ist die direkte
Hinwendung zum Mitmenschen wichtig.
Haben Sie das soziale Engagement weiter gepflegt?
Über den Winter 1991/92 war ich in der Drogenszene am Zürcher
Platzspitz tätig. Sie glich einer Wildwestsituation: Im Winter kämpften
viele Süchtige ums Überleben; die Arbeit war effektiv gefährlich. Aus
dem Trubel der Stadt wechselte ich dann in die Stille des
Meditationsklosters Arth, wo ich Hausarbeit leistete und mit den Gästen
Begleitgespräche führte. Nach siebeneinhalb Jahren Ordensleben legte
ich im Mai 1992 meine ewigen Gelübde ab.
Wie kamen Sie zur Spiritualität, Ihrem Hauptforschungsgebiet?
Es war der Entscheid der Provinzleitung, mich in Rom franziskanische
Spiritualität studieren zu lassen. Ich schrieb die Abschlussarbeit über das
Leben in San Damiano zur Zeit Franziskus‚. Es folgte meine Dissertation
über den Kapuziner Rufin Steimer (1866 ˆ1928), den Gründer der
Schweizer Caritas, der einige Jahre im Kloster Rapperswil verbrachte.
Sie sind heute als Hochschuldozent tätig.
Ich führe die Studierenden am Religionspädagogischen Institut Luzern in
die Kirchengeschichte ein. An einer von verschiedenen Orden
getragenen Hochschule in Münster lehre ich im Rahmen eines Post-
Graduate-Studiums Spiritualitätsgeschichte und in Madrid
franziskanische Spiritualität. In Venedig behandelte ich bedeutende
franziskanische Theologen des Mittelalters, in Münster und Freiburg
dagegen doziere ich allgemeine Spiritualitätsgeschichte.
Anlass zu unserem Gespräch ist Ihre Tätigkeit als Autor. Haben Sie
immer einen Verlag für Ihre Buchprojekte gefunden?
Es verlief bis jetzt erstaunlicherweise umgekehrt: Verlage sind an mich
herangetreten. Das hat damit begonnen, dass der Herder Verlag für ein
Bändchen zur Spiritualität des Franziskus einen Autor suchte. Das Buch
gelang mir offenbar so gut, dass es erweitert mit dem Titel «Franziskus ˆ
Rebell und Heiliger» als Hardcover erschien, inzwischen mehrere
Auflagen erlebte und auch auf Spanisch und Italienisch übersetzt worden
ist.
Welche weiteren Schwerpunkte stehen in Ihren Werken im Vordergrund?
Als ein Gemeinschaftswerk verschiedener Orden franziskanischer
Ausrichtung wollte der Herder Verlag auf das Franziskus-Jubiläumsjahr
2008 ein Buch «Inspirierte Freiheit» herausgeben und beauftragte mich
mit der Ausarbeitung des Konzeptes. Das Buch mit 9000 Exemplaren ist
reich illustriert. Herder setzte die Zusammenarbeit mit mir fort, und so
kam es kürzlich zu einem Buch über Klöster und Ordensgeschichte.
Inwiefern war das Verhältnis zwischen den Geschlechtern ein Thema
Ihres Schreibens?
Der Patmos Verlag wünschte ein Buch über Franziskus und Klara.
Dieses behandelt den spannungsreichen Kampf des Ordensgründers
und der Ordensgründerin für das Recht der Frauen, unabhängig von
Männerklöstern eine Gemeinschaft in absoluter Armut zu führen. Sie
stiessen damit auf harten Widerstand der Kirchenleitung, weil man sich
zur damaligen Zeit selbständige Frauen, die ausserhalb von
schützenden Klostermauern lebten, nicht vorstellen konnte.
Zürichsee-Zeitung, 18.01.2013